Grazer Beitrag zum Konzilsjubiläum
von Helu, 17. November 2014
In ihrer Reihe "Theologie im kulturellen Dialog" legt die Katholisch-Theologische Fakultät Graz einen Beitrag zum 50jährigen Jubiläum des Zweiten Vatikanischen Konzils vor. Es handelt sich um einen Sammelband, dessen Beiträge auf eine Vortragsreihe im Wintersemester 2012/13 zurückgehen. Mit Ausnahme von S. Wiedenhofer und H. Wustamns sind (bzw. waren) alle AutorInnen Lehrende an selbiger Fakultät. Dass es sich ursprünglich um Vorträge gehalten hat, ist den Texten noch deutlich anzumerken. Dies ist aber durchaus positiv zu sehen. Durchgehend steht am Anfang eine Hinführung, es folgt eine These, die knapp und prägnant ausgeführt wird, sowie eine Zusammenfassung, meist mit einem Ausblick, und einem Literaturverzeichnis.
Thematisiert werden neben den zentralen Konzilstexten noch die Rolle der Frauen generell, das Leben der Madeleine Delbrêl, sowie die Hermeneutik des Konzils. Vor allem diese drei letztgenannten Beiträge stechen hervor ? nicht zuletzt, da sie Themen ansprechen, die nicht ohnehin schon in unüberschaubarer Vielfalt bearbeitet worden sind.
Den Anfang bildet der Beitrag von B. Körner zur Kirchenkonstitution, in dem vor allem auf das Bild des pilgernden Gottesvolkes erläutert und interpretiert wird. Dieses war schon immer unterwegs und wird es immer bleiben. Als Beitrag des II. Vatikanums sieht er dafür, dass das Verständnis vom Volk Gottes erneuert und gleichzeitig korrigiert worden ist.
Eine sehr knappe und interessante Analyse der gesellschaftlichen Entwicklung von der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bis heute bildet den Einstieg des Beitrags zur Pastoralkonstitution. Ausgehend davon bestimmt R. Bucher als Kern von Gaudium et spes, dass das Handeln der Kirche immer in Verpflichtung vor der eigenen Tradition und in Verpflichtung auf eine gute Zukunft geschehen muss. Seine zentrale These lautet: Das Zweite Vatikanum hat "die Software für das Leben als Christ und Christin in den prekären Gegenden der Gegenwart geliefert" (37), jedoch gilt es diese heute in rechter Weise zu aktivieren.
B. Groen und P. Ebenbauer zeigen die Anfänge der liturgischen Bewegung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf. Davon ausgehende analysieren sie den Konzilstext, um diesem dann die "tatsächlichen" Veränderungen gegenüberzustellen. Sie scheuen sich auch nicht, Entwicklungen zu benennen, die mit dem Liturgieverständnis des II. Vatikanums und der folgenden Entwicklung nicht in Einklang zu bringen sind (Hostien aus dem Tabernakel; fehlende Gabenprozessionen und Kommunion unter beiderlei Gestalt u.a.).
Der Neutestamentler J. Pichler setzt sich mit der Offenbarungskonstitution Dei Verbum auseinander. Vor allem die Punkte, die er unter 3. behandelt, sind sehr aufschlussreich und klären das Verhältnis von Schrift und Offenbarung sehr anschaulich und nachvollziehbar. Anhand einiger Schlaglichter zur Emmausperikope zeigt der Verfasser, welche Chancen eine Schriftinterpretation, wie sie im Konzilstext vorgeschlagen wird, bietet. Schließlich zeigt er, dass Exegese, die nach dem II. Vatikanum geschieht, Anwältin des Textes sein muss, und zwar der Texte des biblischen Kanons in ihrer Vielgestalt, Verschiedenheit und Offenheit
U. Bechmann liest Nostra Aetate als schöpfungstheologisch argumentierenden Text. Dieser Zugang ermöglicht es theologisch, eine universale Orientierung einzunehmen. Alle Menschen sind Geschöpfe Gottes ? daher muss auch Heil von der Menschheit insgesamt her gedacht werden. Glaubensgrenzen sind ab sofort nicht mehr identisch mit Heilsgrenzen. Die Argumentation ist zwar christologisch: Christus ist der alleinige Weg zur Fülle des Heils. Jedoch bezieht sich dieses Heil sich auf alle Menschen. So kommt Bechmann zu dem Schluss, Nostra Aetate als "Kairos theologischen Denkens" (118) zu beschreiben.
Unter den Stichworten Zeichen der Zeit und aggiornamento nähert sich H. Wustmans dem Thema "Das Zweite Vatikanum und die Frauen ? eine unerhörte Geschichte" an. Sie vergleicht die Stellung der Frau mit der Arbeiterfrage im 19.Jh. Die Kirche stehe gegenwärtig in der Gefahr, die Frauen zu verlieren, wie damals die Arbeiter. Sie sieht die postkonziliare Entwicklung in eine Richtung laufen, die die Chancen des Konzils nicht wahrnimmt, sondern gar gegenläufige Tendenzen zeigt. Deshalb schließt die Theologen mit deutlichen Forderungen, die für eine solche Bestimmung der Rolle der Frau (nicht nur in der Kirche) notwendig wären, damit sie der Gegenwart und dem Geist des Konzil entsprechen und gerecht würden.
E. Pernkopf schreibt über Madeleine Delbrêl, deren Leben ein Beispiel für eine Biographie im Gesite des II. Vatikanums deklariert wird, obwohl sie dessen Ende nicht mehr erlebt hat. An ihrem Leben und Wirken zeigt sich v.a. die Zuwendung zur Welt und die untrennbare Gottes- und Menschenliebe.
Thematisch knüpft der folgende Beitrag von L. Neuhold daran an, indem er die Frage der Zugewandtheit zur Welt ausgehend von Gaudium et Spes zu bestimmen versucht. Der Schwerpunkt hier liegt auf Aussagen zur Soziallehre. Er macht sich v.a. für einen partnerschaftlichen Dialog zwischen den Milieus stark.
P. Argárate macht deutlich, dass Spaltungen innerhalb der Kirche nichts Neues sind; vielmehr gab es solche nach nahezu allen Konzilien. Neu jedoch sei der ausdrückliche und starke Wunsch nach Einheit. Dies ist im Ökumenismusdrekret angesichts der Entwicklungen in der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts, die hinsichtlich ökumenischer Bestrebungen sehr kritisch und ablehnend waren, umso höher einzuschätzen. Der Beitrag behandelt vor allem die Beschreibung des Vatikanums als "ökumenisches" Konzil, sowie das Ökumenismusdekret selbst, und nachkonziliare wichtige Texte zur Ökumene. So ist es gut möglich, große Entwicklungslinien mitzuverfolgen.
Abgeschlossen wird der Band mit einem Beitrag zur Hermeneutik des Konzils von S. Wiedenhofer. Ausgangspunkt bildet für ihn die zunehmende Polarisierung innerhalb der katholischen Kirche, deren Ursprung er in verschiedenen Verständnissen des Konzils festmacht. Er sieht die Kirche in einer epochalen Übergangszeit: etwas Altes geht zu Ende, etwas Neues beginnt. Aus diesem Umstand heraus lassen sich die tiefgreifende Orientierungs- und Kommunikationskrise erklären. Vielfalt wird das Bild der Kirche jedoch noch stärker prägen ? daher braucht es eine entsprechende Hermeneutik, die dieser Vielfalt Raum gibt, und Polarisierungen oder gar Spaltungen verhindertn kann. Nach Wiedenhofer ist der wichtigste Punkt, um das zu erreichen, wechselseitige Anerkennung. Was er darunter versteht, legt er ausführlich dar.
Viele Anregungen
8. Mai 2014
Der Sammelband ?Zerbrechlich und kraftvoll. Christliche Existenz 50 Jahre nach dem Zweiten Vatikanum? geht zurück auf die Grazer Vortragsreihe ?Religion am Donnerstag? vom Wintersemester 2012/2013, die die Katholisch-Theologische Fakultät Graz anlässlich des Konzilsjubiläums veranstaltet hat und enthält zehn Beiträge aus ganz unterschiedlichen Bereichen. Beleuchtet werden einzelne Konzilsdokumente wie Lumen Gentium oder Gaudium et spes, aber auch Entwicklungen nach dem Konzil, wie z.B. die Liturgiereform oder die gesellschaftliche und soziale Dimensionen des Christ-Seins in der komplex gewordenen Welt von heute. Besonders spannend fand ich persönlich die Beiträge von Hildegard Wustmanns zum Verhältnis von Frauen und Konzil und von Elisabeth Pernkopf zu Madeleine Delbrêl. Insgesamt ein spannendes, informatives Buch, das viele Perspektiven und Anregungen für die Zukunft enthält und sich dabei auf das Zweite Vatikanum und seine Texte stützt.