Eine Kosmopolitin aus Wien
von HEYN Leserunde Renate Pfeiffer, 8. März 2018
Margaret Stoborough-Wittgenstein ist eine außergewöhnliche Frau, aufgewachsen in einer außergewöhnlichen Familie zur Zeit der aufregenden ersten Jahre des 20. Jahrhunderts.
Die Familie Wittgenstein, damals eine der reichsten Familien in Österreich, hat natürlich das Gesellschaftsleben in Wien geprägt, bei ihren Festen waren Persönlichkeiten aus Politik und Kultur zu Gast, Johannes Brahms war ein Freund des Hauses, die Maler der Secession und die Künstler der Wiener Werkstätten wurden unterstützt und gefördert. Das Porträt, das Gustav Klimt 1905 von der 23jährigen Margaret malt, hängt heute in der Münchner Pinakothek.
Was Vater Karl, ein Stahlmagnat, begonnen hat, hat seine Tochter Margaret fortgesetzt. Eine Grande Dame der Wiener Moderne nennt sie die Biographin Margaret Greiner, die aus Briefen, Tagebüchern und anderen Aufzeichnungen der Familie ein lebendiges und vielschichtiges Bild zeichnet.
Die acht Wittgensteinkinder, künstlerisch begabte, eigenwillige Persönlichkeiten und sicherlich auch schwierig, sind ziemlich frei aufgewachsen, sehr privilegiert, aber doch dominiert von einem übermächtigen Vater. Es gab Hauslehrer für Mathematik und Latein, alles andere sollen sie aus Büchern lernen oder es "fliegt ihnen zu". Ein faszinierendes Erziehungskonzept, von dem vor allem die Mädchen der Familie profitieren. Für die Söhne gilt die freie Entfaltung nur bedingt, der Ernst des Lebens liegt in Finanzgeschäften, in Eisen und Stahl. Die älteren Brüder zerbrechen daran, sie begehen Selbstmord. Erst die beiden jüngsten, Paul und Ludwig, werden in öffentliche Schulen geschickt und wählen später ihren Beruf selber- Paul die Musik, Ludwig die Philosophie.
Margaret wird zu einer selbstbewussten und tatkräftigen Frau, sie interessiert sich für Naturwissenschaften, holt die formelle Ausbildung nach, macht die Matura und beginnt ein Studium. Und das alles bei einem Wanderleben mit ihrem amerikanischen Ehemann, das sie nach Berlin, New York, Zürich, Paris und wieder nach Wien führt – ein internationales, bewegtes Leben, und doch immer verbunden mit der Familie und mit Wien.
Obwohl die unverheiratete älteste Schwester Hermine als Familienoberhaupt gilt, gewinnt man den Eindruck ,dass Margaret ein stabiler Anker für alle ist, sie zieht die Fäden, organisiert und managt vieles im Hintergrund, auch in den schweren Jahren nach dem "Anschluss" Österreichs ans Deutsche Reich, als die Familie Wittgenstein wegen ihrer jüdischen Abstammung von den Nürnberger Gesetzen betroffen ist.
Ihren Reichtum und ihre Privilegien sieht Margaret Stonborough-Wittgenstein immer als Verpflichtung anderen zu helfen, sie zu fördern und sich selbst hohe Ziele zu setzen.
Sie ist nicht der Star im Rampenlicht, sondern eher die Regisseurin und Mäzenin in den Kulissen, sie nützt ihre Unabhängigkeit und geht selbstbewusst einen eigenständigen Weg in allen Zeiten der Umbrüche, die sie erlebt hat.
Eine umfangreiche Literaturliste im Anhang regt an, sich (wieder einmal) mit den Wittgensteins, Gustav Klimt, Sigmund Freud und ihrer Zeit zu befassen, man wird ihnen heuer zu den verschiedenen Gedenkterminen ohnehin immer wieder begegnen.
Eine großartige Biografie
von Bellis-Perennis, 6. März 2018
Autorin Margret Greiner beschenkt ihre Leser mit dieser Biografie über Margaret Stonborough-Wittgenstein, die sich spannend und lebendig wie ein Roman liest.
Wer ist sie nun, diese Frau, die den selben Vornamen wie die Autorin trägt?
Margaret (1882 – 1958) ist das siebente Kind der reichen Unternehmerfamilie Wittgenstein in Wien geboren. Karl Wittgenstein hat sein Vermögen mit Stahl- und Eisenfabriken gemacht. Er führt seine Familie wie die Unternehmen: Streng und autoritär. Darunter leiden die Ehefrau Leopoldine geborene Kallmus und vor allem die fünf Söhne. Sie sollen in die technischen Fußstapfen des Vaters treten und an technische Studien betreiben. Daran zerbrechen drei, die später Selbstmord begehen werden.
Die Töchter dürfen sich den schönen Künsten widmen und Hermine, die älteste, wird von Karl als Kunstkennerin und Beraterin hochgeschätzt.
Margarete, genannt Gretl, entwickelt recht bald einen eigenständigen oft sturen Charakter. Sie ist wissbegierig und eine begnadete Mathematikerin. Rein intellektuell käme für sie ein technisches Studium in Frage. Allein zu dieser Zeit sind Frauen am k.& k. Polytechnikum, wie die Technische Hochschule heißt, nicht zugelassen. So widmet sie sich den Künstlern der Secession wie Josef Hoffmann und Gustav Klimt.
Gretl lernt den Amerikanischen Fabrikanten Jerome Stonborough kennen, der ihre kluge Konversation sehr schätzt und ihrem Wissen auf Augenhöhe begegnet. Man heiratet 1905 und bekommt zwei Söhne Thomas und John. Die ersten Risse in der Ehe zeigen sich bald. Jerome erscheint als unsteter Mensch, weswegen die Familie mehrfach umsiedeln muss. Margaret schafft es immer wieder ihren Söhnen ein gemütliches Zuhause zu bieten. Sie geht in ihren Einrichtungs- und Gestaltungsplänen so richtig auf. Häuser und Wohnungen werden mit viel Liebe zum Detail und stilsicher kostbar eingerichtet.
Zweimal muss Margaret, die durch ihre Heirat mit Jerome amerikanische Staatsbürgerin geworden ist, ins Exil: Einmal während des Ersten Weltkriegs geht sie in die Schweiz, weil sie als Amerikanerin als Staatsfeindin gilt. Das andere Mal 1940 emigriert sie nach Amerika. Die Nürnberger Rassengesetze
machen aus der österreichischen Familie, sogenannte „Geltungsjuden“. Obwohl sie sich ihrer jüdischen Wurzeln gar nicht bewusst ist, zählen für die Nazis allein die jüdische Herkunft der Großväter.
Während der beiden Weltkriege entfaltet sich Gretls Organisationstalent. So lässt sie, angesichts der Berichte über hungernde Kinder in Wien, trotz aller behördlicher Schikanen Kondensmilch im Wert von 100.000 Schweizer Franken nach Wien bringen.
Die Nazizeit bringt sie an ihre emotionalen und körperlichen Grenzen. Sie verbringt wie ihre Schwester Hermine ein paar Tage in „Schutzhaft“, bevor sie es unter hohem finanziellen Einsatz schafft, zumindest einen ihrer jüdischen Großväter zu einem „Arier“ zu machen.
Vor ihrer eigenen Auswanderung gelingt es ihr, gemeinsam mit Marie Bonaparte, Sigmund Freud und seiner Tochter die Ausreise aus Österreich zu ermöglichen.
Bereits 1946 ist es ihr gelungen, ihre Villa in Gmunden und das Stadtpalais in der Kundmanngasse, das sie gemeinsam mit Bruder Ludwig gebaut hat, restituiert zu bekommen.
1950 kehrt sie endgültig nach Österreich zurück.
Im Alter wird sie ihrem Vater immer ähnlicher. Sie schreibt mahnende Briefe an die längst erwachsenen Söhne und versucht die Menschen ihrer Umgebung nach ihrer eigenen Vorstellung zu formen.
Meine Meinung:
Margret Greiner hat ein lebendiges Bild dieser starken Persönlichkeit, der eigenes (Liebes)Glück nicht so recht vergönnt war, dargestellt. Wir erleben die Höhen und Tiefen ihres Lebens mit. Die Selbstmorde dreier Brüder, die Kriegsverletzung von Bruder Paul, der als einarmiger Pianist in die Geschichte eingeht und die depressiven Phasen ihres wohl berühmtesten Bruders, dem Philosophen Ludwig, sowie der Selbstmord ihres Mannes Jerome hinterlassen Spuren in Margrets Persönlichkeit. In späten Jahren wird sie über das Scheitern ihrer Ehe reflektieren und dabei zum Schluss kommen, dass ihr nicht so sehr verhasst war als laue Temperaturen. (S.220).
Zu Beginn bekommen wir Einblick in das Wiener Gesellschaftsleben um 1900. Wir dürfen dabei sein, als Gustav Klimt jenes Porträt von Gretl anfertigt, welches das Buchcover ziert. Die Begegnung der beiden finde ich äußerst gelungen. Gustav Klimt, immer als wortkarg und maulfaul beschrieben, lässt sich während der Sitzungen auf ein knisterndes Ping-Pong-Spiel der Worte mit Gretl ein. Für gewöhnlich sagt man dem Maler ja auch ein Verhältnis mit seinen Modellen nach …
Der Schreibstil der Autorin gefällt mir ausnehmend gut. Ich durfte ihn schon bei „Auf Freiheit zugeschnitten“, der Biografie über Emilie Flöge kennenlernen. Den wunderbaren Text ergänzen Zitate von Geschwistern und Zeitgenossen sowie Ausschnitte aus den vielen Briefen, die von Gretl noch erhalten sind. Herrlich ist auch Gretls Mix aus Wienerisch und Englisch, den sie spricht und schreibt. Eine Reihe von Fotos ergänzt diese penibel recherchierte Biografie.
Schmunzeln musste ich bei der Episode auf den ersten Seiten, bei der ihr Enkel Pierre das Porträt von Klimt als nicht besonders gelungen findet. „Du kannst das Bild natürlich auch verkaufen. Aber viel bringen wird es wohl nicht.“ (S.12) Diese Begegnung wird am Ende des Buches noch einmal aufgegriffen. „Hätt‘ ich mich vor siebzig Jahren nicht so despektierlich über Klimts Bild geäußert, hätte meine Großmutter mir ihr Porträt vermacht“ (Pierre Stonborough, S. 295).
Die Ausfertigung des Buchs ist wieder hochwertig. In violettem Leinen gebunden, der Schutzumschlag mit dem Gretls Porträt von Klimt und der erhabenen Jugendstillettern des Titels machen das Buch zu einem repräsentativen Geschenk für alle jene, die gerne außergewöhnliche Menschen kennenlernen wollen.
Fazit:
Eine großartig gestaltete Biografie, der ich gerne 5 Sterne und eine absolute Leseempfehlung gebe.