Andere Perspektiven
von Manfred Angerer, 8. November 2020
Wohltuend anders, den nicht alltäglichen Alltag eines bald verlassenen Fischerdorfes aus dem Blickwinkel und mit den Gedanken und den Äußerungen des geistig etwas zurückgebliebenen Protagonisten( früher: „Dorftrottel“) namens Kalmann mitzuerleben. Ein Krimi, der doch nicht der ist, von dem es den Anschein hat, sondern ein Anderer und viele Bemerkungen von Kalmann, die das scheinbar Offenkundige doch in einem anderen Licht erscheinen lassen.
Leider habe ich zu viele Seiten gebraucht, um in die Faszination dieses Buches eintauchen zu können. Deshalb - sehr subjektiv von mir - nur 4 Sterne.
Auch Haie müssen essen ...
von Gudrun Gaber, 8. November 2020
Ich kann mich der allgemeinen Begeisterung für das Buch nicht anschließen.
Ja, es ist eine gute Abenteuergeschichte in einem realen isländischen Fischerdorf, aber ich kann nicht außer Acht lassen, dass es mich stört, dass der Ich-Erzähler salopp ausgedrückt Dorttrottel genannt wird. Er wird als naiv mit einer Behinderung und Lernschwäche, auf dem Level eines Kindes beschriebenen.
Auf Seite 180 taucht eine Tante Gudrun auf :-)
Familie ist das Wichtigste auf der Welt
von HEYN Leserunde Silvia Grutze, 4. November 2020
Anfänglich brauchte ich ein wenig um richtig in die ich Erzählung einzutauchen zu können. Doch nach und nach wurde dieses Buch zu einem wahren Lesevergnügen für mich. Letztendlich war es dann in Summe doch sehr sehr interessant und spannend in die Position des Ich-Erzählers gleichsam zu schlüpfen.
Die Hauptfigur - Kalmann - überraschte mich im Laufe der Geschichte immer wieder aufs Neue und die Spannung stieg unaufhörlich. Ich hatte das starke Gefühl: "Nicht atmen, weiterlesen!" Irgendwie war ich Kalmann, dachte wie er oder wollte es zumindest, ganz ohne Schnick Schnack, ganz pur. Es entstand unglaublich viel Empathie beim Lesen. Kalmann vermittelte mir einen in gewisser Weise kindlichen und dennoch pointierten Humor und es kam an mancher Stelle des Buches vor, dass ich unweigerlich zum Lächeln gezwungen war. Auch musste ich immer schmunzeln, wenn er selbst mit oder über sich lachte.
Inhaltlich überraschte mich das Buch mit der Vielfalt an aktuellen Themen, die darin aufgezeigt werden.
Landflucht (nur weg aus dem Fischerdorf, wo dadurch riesige leere Hallen zurückblieben),
ein Monopol (das praktisch alles ausfischte und dann ein ausgesaugtes und ausgelaugtes Dorf und Meer zurückließ),
Umweltprobleme (wie Plastik im Meer),
Altersheim, Mutproben, Vorurteile und Drogen...so vieles würde thematisiert!
Der Roman ist mehr als empfehlens- und lesenswert. Kauf dir das Buch!
Danke Joachim B Schmidt für dieses mitreisende Werk.
Einen charmanten Eigenbrötler...
von Robert , 31. Oktober 2020
... hat Joachim B. Schmidt erfunden: Kalmann, eine Art schlampiger Forrest Gump mit Cowboyhut im äußersten Nordosten Islands. Er ist der selbsternannte Sheriff von Raufarhöfen, manchmal ein bisschen langsam, aber doch ziemlich helle. Das hilft ihm, neben seinen skurrilen Freunden, einen Vermisstenfall zu lösen und zum Helden zu werden. Fauna und Flora Islands spielen eine große Rolle und Schnee, über den Schmidt so viel zu erzählen weiß, dass selbst ein Inuit aus Grönland neidisch würde.
Island und ein Mord, den keiner beging
von HEYN Leserunde Petra Hesse, 26. Oktober 2020
Was wissen wir in Mitteleuropa vom Leben in Island? Ein dorthin ausgewanderter Schweizer erzählt uns anlässlich eines Kriminalfalles davon. Es geht um wirtschaftliche Probleme infolge von EU-Fischfangquoten, aber auch um Egoismus und gute bzw. schlechte Nachbarschaft. Zentrum des Erzählens ist ein Protagonist, der von seinen Mitmenschen als geistig behindert wahrgenommen wird, der aber in seinen langsamen und einfachen Reaktionsweisen sehr sympathisch wirkt. So glaubt man ihm seine unschuldigen Berichte von einzelnen Aspekten eines – vermeintlichen – Mordfalles trotz gelegentlicher tobsuchtsartiger Wutanfälle, die seine Zurechnungsfähigkeit in Frage stellen. Die Gutgläubigkeit der ermittelnden Polizistin ist ebenfalls sehr sympathisch, wenn auch weniger überzeugend als das von großer Mitmenschlichkeit getragene Verhältnis zwischen dem Ich-Erzähler und seinem Großvater. Die Passagen über dessen Lebensklugheit und Umgang mit dem >andersartigen< Enkel waren für mich die Highlights des Romans.
Haifutter
von Emmmbeee, 24. Oktober 2020
Der Ich-Erzähler Kalmann Odinsson ist zwar Mitte 30, aber geistig im Kindesalter geblieben. Seinen Sheriffstern und den Cowboyhut hütet er wie den eigenen Augapfel. Aus einer Stelle geht hervor, dass er mit dem Down-Syndrom behaftet ist. Und doch hat er in manchem den Erwachsenen einiges voraus.
Als der Hotelier und Dorfkönig von Raufarhöfn, Robert McKenzie, verschwindet und Kalmann im Schnee eine Stelle mit viel Blut sieht, lastet mit einem Mal viel Wissen auf seinen Schultern. Da sein dementer Grossvater im Altersheim wohnt und Kalmann seine Mutter nicht oft sieht, hat er keine richtige Ansprechperson. Da ist nur Noi im Internet. Aber von dem kennt er nicht einmal das Gesicht, und online ist er auch bald nicht mehr.
Die Polizistin Birna kommt ins Dorf und forscht nach dem Verschwundenen. Sie spürt, dass Kalmann mehr weiss, als er sagen will. Mit viel Geduld erfährt sie schliesslich, was notwendig ist. Im Höhepunkt der Story wird Kalmann zum Helden des Dorfen, büsst allerdings dabei fast sein Leben ein.
Joachim B. Schmidt hat mit Umsicht die Gestalt des Kalmann gezeichnet. Ein sogenannter Dorftrottel mit ganz eigener Logik, der dennoch manchen Bewohnern einiges voraushat. Vor allem kann er ein Geheimnis bewahren, wenn er auch schwer daran trägt. Dass ihm die Sympathien gehören, ist gleich zu Beginn klar. Doch Schmidt hat auch ein liebevolles Bild eines grösstenteils entvölkerten Teils von Island entworfen, dessen Bewohner andere Prioritäten und eine etwas andere Sicht auf die Welt haben. Unerwiderte Liebe ist ein weiteres Thema, auch auf den Kinohelden Forrest Gump wird angespielt.
Es geht also um einen Todesfall, bei dem man bis kurz vor Romanende nicht weiss, wodurch er eingetreten ist. Doch das Überleben eines Menschen, der anders ist, spielt eine grössere Rolle. Bis zuletzt habe ich mich gefragt, wovon er eigentlich lebt, da er ja einen eigenen Haushalt führt. Vom Gammelhai-Verkauf sicher nicht. Auch habe ich erwartet, dass auf den zweiten Todesfall genauer eingegangen wird.
Alles in allem ein liebenswerter Roman mit interessantem Hintergrund.
von Ingrid Mair , 24. Oktober 2020
Im hohen Norden Islands befindet sich das Dorf Raufarhöfn. Nachdem der Fischfang so stark zurückgegangen ist, leben hier nur noch wenige Menschen. Einer davon ist Kalmann, den dem einige behaupten, mehrere Räder in seinem Kopf laufen rückwärts. Sein Großvater aber, der inzwischen im Pflegeheim lebt, hat ihn immer darin bestärkt, dass mit ihn durchaus alles in Ordnung sei. So macht Kalmann als selbsternannter Sheriff, ausgerüstet mit Cowboyhut, Sheriffstern und einer alten Pistole seine Runden im Dorf und der Umgebung. Eines Tages, als er auf einem weiten Schneefeld eine Blutlache entdeckt, überfordern ihn anfangs die Ereignisse und sein simples Leben wird plötzlich ziemlich kompliziert. Doch mit naiver Weisheit und einem guten Bauchgefühl wendet Kalmann alles zum Guten.
Kalmann
von CanYouSeeMe, 18. Oktober 2020
Kalmann, der Sheriff von Raufarhöfn, ist ein ganz eigener und beinahe schon abstrakter Protagonist. Die Story wird in der Ich-Perspektive erzählt, als LeserIn muss man sich also auf die Gedankengänge und Empfindungen von Kalmann einlassen - was mir zunächst nicht ganz einfach gelang. Mit den Kapiteln habe ich mich jedoch sehr gut an Kalmann gewöhnt und habe seine Perspektive sehr zu schätzen gewusst.
Die Sprache ist ein wenig seltsam - nicht nur, die in meinem Kopf schwer aussprechbaren isländischen Ortschaften, auch der Ausdruck scheint ab und an nicht ganz rund. Dies passt aber hervorragend zum Protagonisten und seiner intellektuellen Entwicklungsverzögerung. Der Schreibstil ist insgesamt sehr flüssig und passt gut zum Setting der Story.
Diese ist nur mäßig spannend, aber dennoch interessant. Kalmann scheint zunächst reinzufällig in einen Vermisstenfall verwickelt - die Ermittlungen nehmen ihren Lauf, Kalmanns Sicht darauf ist eher beobachtend, auch wenn er mittendrin scheint. Spannend für mich als Leserin auf jeden Fall, denn ich wusste nie mehr als Kalmann zu jenem Zeitpunkt auch. Der Fokus des Lesenden wird voll und ganz von Kalmanns Perspektive gelenkt, so dass Nebenschauplätze in diesem Buch eher keine Rolle spielen.
Die Handlung war für mich vor allem im letzten Viertel des Buches spannend, bis dahin etwas zäh. Dennoch habe ich die Lektüre sehr genossen, was alleinig der besonderen Perspektive zuzuschreiben ist.
Auf des Messers Schneide...
von HeynLeserunde Marianne Schaffer-Schellander , 18. Oktober 2020
Das Buch von Joachim Schmidt ist spannend, witzig, nachdenkend machend und sehr eindrücklich erzählt. Immer wieder ertappe ich mich dabei, selbst in Island zu sein, duch Raufarhoevn zu spazieren und mit Kalmann zu plaudern. Ja, mit Kalmann, der sympathisch gezeichneten Hauptperson, die sich die Welt mit den Ansichten des Großvaters erklärt. Wie bei jedem guten Krimi, in dem sich die Handlung plötzlich wenden kann, gibt es auch in diesem Buch einige Szenen in denen wir kurz davor sind, einen Blick in die Tiefen von Kalmann Seele zu werfen. Kalmann und ich mit ihm wandeln auf des Messers Schneide zu einem ungewissen Ende.
Einfach zum Liebgewinnen
von HEYN Leserunde H. Schellander, 18. Oktober 2020
„Es gibt diesen Film, in dem alle Gletscher geschmolzen sind und das Wasser so hoch steht, dass es kein Land mehr gibt. Der Held ist halb Mensch, halb Fisch. Er kann unter Wasser atmen, sieht aber noch immer gut aus, nicht wie ein Fisch. Das nennt man Evolution. Und wer nicht an Evolution glaubt, ist behindert …“ Sagt Kalmann, zum Beispiel. Der ist eigentlich das Faktotum von Raufarhöfn, einem Kaff im Nordwesten von Island. Für den Ich-Erzähler Kalmann findet Joachim B. Schmidt eine Sprache, die komplizierte Zusammenhänge (siehe Beispiel Evolution, aber auch Finanzkrisen, Klimawandel, Sozialkontakte …) einfach und mit einem Augenzwinkern erklärt. Manchmal hatte ich das Gefühl, der Autor irrt beim Schreiben der (Kriminal)Geschichte wie seine Figuren durch den allgegenwärtigen isländischen Nebel. Letztlich nahm er aber die richtigen Abzweigungen und ich hatte das Buch lieb gewonnen wie diesen seltsam hybriden Typen Kalmann und seinen Großvater und die Polizistin Birna. Bloß mit dem Gammelhai fremdle ich noch immer …