Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster
von Doris Dim-Knoglinger , 14. Juni 2017
Fred, alleinerziehend, tollpatschig und übergewichtig ist seit Neuestem Sterbebegleiter. Karla, eigensinnig und distanziert, leidet unheilbar an Krebs. Mit dem Herz am rechten Fleck versucht Fred der barfüßigen Dame alles Recht zu machen. Doch ist das, was man sich für sich selbst wünscht auch das Richtige für den anderen? Erst Phil, Freds 13-jähriger Sohn findet einen ganz ungezwungenen Zugang zum Sterben und zu allen Beteiligten.
Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster
von CanYouSeeMe, 28. Februar 2017
?Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster? von Susann Pásztor war mein erstes Buch der Autorin und hat mir gut gefallen. Der Schreibstil und die Sprache passen sich den einzelnen Charakteren an und sind dadurch sehr authentisch und auch realistisch.
Die Charaktere sind allesamt sehr eigensinnig gezeichnet und haben für mich gerade durch diese Eigenwilligkeit, ihre Ecken und Kanten, an Authentizität gewonnen. Die Charaktere, egal ob nun Protagonisten oder Nebenfiguren, sind mit ausreichend Details versehen, um mir eine bildhafte Vorstellung von ihnen machen zu können.
Die Handlung wird abwechselnd aus den Perspektiven von Fred und Phil erzählt, zwischendurch gibt es auch Einschübe von Karla, es handelt sich hierbei jedoch nicht um eine Weitererzählung der eigentlichen Handlung, sondern eher um gedankliche Wortfetzen. Der Perspektivwechsel in der ?Erzählung? hat mir gut gefallen, so konnte ich mich sowohl in Phil als auch in seinen Vater Fred hineinversetzen. Gut gefallen hat mir, dass die Beziehung zwischen Fred und Karla nicht dem Klischee entspricht, das man sofort mit Sterbebegleitung und Hospizarbeit verbindet. Durch den Einbezug von Phil wurde die anfänglich doch etwas beklemmende und tatsächlich dem Klischee entsprechende Situation aufgelockert und hat eine besondere Dynamik erfahren. Schön fand ich es, dass auch ein Augenmerk auf die Vater-Sohn-Beziehung geworfen wurde und es nicht hauptsächlich um die Sterbebegleitung von Karla ging. Für mich persönlich war die Beziehung zwischen Karla und Phil am interessantesten und mich hat sehr gefreut, dass Phil sich durch die Zeit bei Karla entwickelt hat.
Insgesamt hat mir dieses Buch sehr gut gefallen, es hat mich zum Nachdenken angeregt und wird mich noch eine Weile beschäftigen.
Bewegende Geschichte vom Leben und Sterben
von Schlaflos, 19. Februar 2017
Zum Inhalt
Das Buch erzählt davon, wie der etwas unbeholfene Fred Wiener seine erste Sterbebegleitung durchführt. Er ist ehrenamtlicher Hospizmitarbeiter und ist etwas überfordert mit seiner ersten Betreuungsperson: Karla zeigt sich stark und eigensinnig und sieht eigentlich keinen Bedarf eines Sterbebegleiters. Seine Vorstellung davon, wie er Sterbenden die letzten Wochen verschönern kann, indem er unerfüllte Wünsche oder unausgesprochene Träume erfüllt, erweist sich als naiv.
Während Fred sich immer wieder die Zähne ausbeißt, ist es sein Sohn, der durch einen kleinen Nebenjob Karla besser kennen lernt. Er ist es schließlich, dem sich Karla nach und nach etwas öffnet. So wächst der sensible Junge, der Vorher nur seine Liebe zu Wörtern im Kopf hatte, ein Stückchen über sich selbst hinaus und wird ein wichtiger Bestandteil von Karlas letzten Wochen.
Zur Leseerfahrung
Das Buch behandelt ein schwieriges Thema: Sterben und Sterbebegleitung. Ein Thema, das wohl die meisten Menschen überfordert, weil es kein Patentrezept gibt, damit umzugehen. Das Buch zeigt, wie viele Facetten dieser Prozess haben kann und zeigt dem Leser auf diese Weise, dass es kein ?richtig? und ?falsch? gibt, sondern vielmehr, dass das ein sehr individueller Prozess ist.
Die große Stärke dieses Buches ist die ruhige Erzählweise, die Emotionen hervorruft, ohne die Geschichte zu dramatisieren.
Zum Fazit
Ein wunderbares Buch, das dabei hilft, sich mit dem Thema Sterben zu befassen. Mit ihrem unaufgeregten Erzählstil lädt die Autorin den Leser ein, an Karlas Geschichte teilzunehmen und gibt damit die Möglichkeit zu verstehen, was in einem sterbenden Menschen vorgehen kann.
Zu den Eckdaten
Titel: Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster
Autor: Susann Pásztor
Verlag: Kiepenheuer & Witsch
ISBN: 978-3462048704
Preis: 20,00?
Wörterbeschützer
von heinoko, 16. Februar 2017
Dieser Titel, dieser wunderbare, geniale Titel! Allein dafür liebte ich das Buch sofort, als ich es in Händen hielt, obwohl ich noch keine Zeile gelesen hatte. Und sofort hatte ich die Assoziation, dass ein Mensch gestorben ist und jemand das Fenster öffnet, um die Seele fort zu lassen...
Fred, ein dicklicher, stiller Mann bekommt seinen ersten Auftrag als ehrenamtlicher Sterbebegleiter, und zwar bei Karla, einer sehr eigenwilligen, selbstbestimmten Frau mit Pankreaskrebs, die es Fred alles andere als leicht macht, schon gar nicht, seinem eigenen Anspruch an sich gerecht zu werden. Und dann ist da noch Phil, der fast 14-jährige Sohn von Fred. Phil ist ein in sich gekehrter Junge, ein ?Wörterbeschützer?, der auf seinem Computer ein Wörterkrankenhaus angelegt hat für Wörter, die z. B. isoliert werden sollten oder einer Operation bedürfen. Phil, der Gedichte schreibt und wenig anfangen kann mit dem Leben um sich herum. Er bekommt von Karla eine besondere Aufgabe zugewiesen. Und so finden sich rund um Karla Menschen zusammen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Zwischen den vorgestellten Personen entsteht ein Beziehungsgeflecht, eine ganz vorsichtige Dynamik, die jeden Beteiligten seinen eigenen Weg finden lässt auf eine sehr leise, sehr feine Weise. Am Schnittpunkt Leben/Tod sind Hilflosigkeit und Weisheit so nah beieinander wie nie sonst.
Die Autorin berührt mich tief. Was für eine großartige Beobachtungsgabe, was für eine geniale Fähigkeit, mit einfachen Worten einfache Geschehnisse zu beschreiben und diese damit in eine andere Bedeutsamkeit zu überführen. Feinfühlig, sensibel und dabei mit ganz leisen Worten, sozusagen mit ganz leiser Stimme eine Geschichte erzählend, die tiefer nicht gehen könnte.
"Ich schreibe eigentlich nur noch Listen. Für alles andere fehlen mir die Worte."
von StefanieFreigericht, 12. Februar 2017
Fred Wiener ist so neurotisch wie eine Hauptfigur in einem älteren Woody-Allen-Film: "War er irgendwo mit jemandem verabredet, was selten genug vorkam, schlenderte er immer ein wenig auf und ab und entfernte sich dann so weit, dass er den Treffpunkt noch gut im Auge behalten konnte, um sich bei der ersten Sichtung der anderen Person wieder dem Ziel zu nähern." S. 11 Für seine Kollegen ist er nur der Langweiler, das "Wienerwürstchen" - und hat sich zum ehrenamtlichen Sterbebegleiter ausbilden lassen, aus Angst, sein Leben sei belanglos. So gerät er an Karla, die alles ist, aber nicht unentschieden oder "lauwarm". Karla fordert ihn heraus in seiner Komfortzone. Auf "Was würden Sie denn gern tun mit der Zeit, die Ihnen noch bleibt?" entgegnet Karla "Ist das Ihr Unterhaltungsprogramm für Sterbende, Herr Wiener?"
Phil ist der 13-jährige Sohn des alleinerziehenden Fred, viel zu klein für sein Alter, Schreiber von Gedichten und mit seinem Vater in einem "Nichtangriffspakt" lebend, aus dem heraus Fragen nicht gestellt und Antworten nicht erwartet werden, besonders, was Phils Mutter betrifft. Auch er begegnet Karla: "Er suchte nach seiner Angst und fand sie weit hinter seiner Neugier und etwas anderem, das mit Bewunderung zu tun hatte." S. 76
Mit großem Einfühlungsvermögen für die Situation und für die Personen schildert Susann Pásztor ihre Geschichte dieses Aufeinandertreffens von wunderbaren Charakteren (wann schon kann man sich gleichzeitig in etlichen Zügen mit einem Teenager, einem Mann Mitte Vierzig und einer älteren Dame identifizieren?) - die feine Ironie dazu ist geradezu hinreißend. ?Was sah sie [Karla] in ihm [Fred]? Einen Gesandten des Todes? Einen zukünftigen Beistand für schwere Stunden? Einen schwitzenden, übergewichtigen Mittvierziger?" S. 13
Dieses Buch über eine Sterbebegleitung zelebriert doch vor allem das Leben, aber auf eine so mitreißende und bewegende Art, das ich es geradezu verschlungen habe. Für dieses Buch benötigt man Zeit - nein, es sind nur 288 Seiten, die sich noch dazu fix und leicht lesen lassen. Aber man möchte dieses Buch nicht unterbrechen MÜSSEN und daher sollte man es nur anfangen, wenn man miteinander auch ungestört sein kann; auch, um gelegentlich innehalten zu können.
S. 18 "Wenn ich Listen schreibe, dann sind es welche, auf denen steht, welche Todesarten mir noch weniger gefallen als die, an der ich sterben werde. Ich schreibe Listen mit meinen gebrochenen Versprechen und all den Dingen, an die ich nie geglaubt habe. Ich schreibe eigentlich nur noch Listen. Für alles andere fehlen mir die Worte."
Und ich - muss eindeutig wieder einmal weniger Listen schreiben?