Weit entfernt und doch so nah
von liesmal, 9. Juni 2021
Ich habe das Cover gesehen und dabei sind mir direkt die Beine der Frau aufgefallen, die zu einer älteren Frau gehören. Die beiden Menschen scheinen auf den ersten Blick auf einer Bank zu sitzen und sich viel zu erzählen zu haben. Allein dieses schlicht gehaltene Bild macht mich unglaublich neugierig. Es besticht durch Einfachheit und ist dadurch auf jeden Fall ganz anders als die meisten anderen Buchcover. Ob die Geschichte ebenso ist?
Der Autor Barney Norris beantwortet meine Fragen in dem Buch "Die Jahre ohne uns", das erschienen ist im Verlag Dumont.
Tatsächlich sitzen die beiden älteren Menschen, eine Frau und ein Mann, zusammen – an einer Hotelbar. Der Zufall hat sie an diesem Ort zusammengeführt. Habe ich an dieser Stelle noch mit einer leicht-lockeren Unterhaltung gerechnet und mir sogar schon insgeheim den weiteren Verlauf vorgestellt, so wurde ich schnell eines Besseren belehrt. In den beiden ersten Teilen, die fast den gesamten Raum des Buches einnehmen, lässt der Autor in einer ganz eigenen Sprachgestaltung die Frau und dann den Mann ihr bisheriges Leben erzählen. Das geschieht auf eine Art und Weise, wie ich sie so weder erwartet noch jemals gelesen hatte, und an die ich mich erst gewöhnen musste. Aber das Lesen hat sich gelohnt, denn spätestens in der zweiten Hälfte mochte (m)ich das Buch nicht mehr loslassen.
Fasziniert hat mich die Frau, deren Gedanken häufig bei ihrem Vater sind, der sie verlassen hatte, als sie noch ein kleines Kind war, die aber auch ihr Leben lang davon geträumt hat, eine Enzyklopädie zu schreiben: „Ich habe immer gedacht, dass ich einmal ein Meisterwerk in die Welt hineinweben würde, eine Enzyklopädie aller Worte, in die ich mich jemals verliebt habe…“ – Unerfüllte Träume, die sie begleiten.
Fantastisch und an vielen Stellen dennoch sehr realistisch klingt die Geschichte des Mannes, der als Schauspieler gearbeitet hat, aber auch „im richtigen Leben“ immer wieder in neue und ganz verschiedene Situationen gerät, die an die Rollen eines Schauspielers erinnern lassen. – Er bleibt immer auf der Suche. Hier sind Realität und Fiktion gut miteinander verwoben.
Ein besonderes Buch mit einem Hang zum Träumen und den Wünschen, die Frau und der Mann – tatsächlich werden keine Namen genannt – mögen ihrer Einsamkeit entfliehen.
Eine ungewöhnliche Geschichte
von Nicole Koppandi, 28. Februar 2021
Der Roman ist in drei Teile geteilt: aus der Sicht einer ca 60-jährigen Frau, aus der Sicht eines ca gleichaltrigen Mannes und dem Ende.
Zu Beginn erzählt die Frau aus ihrem Leben. Vom Verschwinden ihres Vaters und vom Wunsch eine Enzyklopädie anzulegen.
Im zweiten Teil erzählt der Mann. Er erzählt, was ihm alles in seinem Leben widerfahren ist. Irgendwo hab ich gelesen, dass dies an die Geschichte von Alice im Wunderland erinnert: ständig verschwindet das Leben und es taucht irgendwo anders auf. Immer wieder erzählt er, dass er eigentlich nur zurück zu seiner Frau möchte, sie jedoch nicht finden kann.
Und hier weiß ich nicht so recht, was ich davon halten soll: einerseits liest es sich ganz interessant, andererseits weiß ich nicht, warum diese Art des Erzählens gewählt wurde. Das Ende hat mich dann wieder versöhnt.
So ganz überzeugen konnte mich der Roman insgesamt nicht, weil mir der Aufbau nicht so gefallen hat und doch hatte die Geschichte etwas, was mir dann doch gefallen hat – also so gemischte Gefühle
Warum erkennen wir erst was wir haben, wenn wir es verloren haben?
von Miro, 16. Februar 2021
Eine Frau erzählt uns ihre Geschichte, nicht nur anhand der Fakten, sondern auch in einer Auflistung ihrer Lieblingswörter.
Im ersten Teil überwiegen Verlust und Einsamkeit. Sie lebt allein, hat jung ihren Vater verloren und zwar später, aber ebenso jung ihren Ehemann. Sie hat sich aufs Land zurückgezogen, lebt ein beschauliches Leben ohne viel Aufregung.
Doch dann kommt Teil 2 und der ist völlig anders als erwartet. Plötzlich finden wir uns in einer völlig verrückten Geschichte wieder, die eher im magischen Realismus angesiedelt ist. Gehetzt folgen wir dem Autor durch ein Leben, dass ebenfalls von Verlust geprägt ist, aber ganz stark auch von der Trauer, etwas verloren zu haben, das nicht wiederbringlich scheint. Hier versucht ein Mann zu seiner Frau zurückzukehren und will und will einfach nicht gelingen.
Wie diese beiden Teile zusammenpassen, zeigt uns der Autor dann ganz unaufgeregt in einer Hotelbar und stellt dabei die große Frage, ob es eine zweite Chance geben kann. Und warum manche Wert erst erkenne, wenn es zu spät ist.
Mit diesem Buch hat mich Barney Norris total überrascht. Ich hatte nicht mit einer magischen Geschichte gerechnet. Aber keine Angst! An alle, die das nicht mögen - schlussendlich klärt sich alles.
Der Autor erzählt hier eine gute Geschichte und eine gute Geschichte muss bekanntlich nicht immer wahr sein. Diese Geschichte im Buch erreicht ihr Ziel und kann überzeugen und mir ging es nicht anders. Auch ich bin von dieser Erzählkunst beeindruckt und überzeugt.
Ich empfehle diese Liebesgeschichte demnach allen, die normalerweise keine Liebesgeschichte lesen, denn dieses Buch folgt nicht den gängigen Pfaden. Dieses Buch ist für Menschen, die gute Geschichten mögen!
Fließende Erinnerungen
von yellowdog, 12. Februar 2021
Es beginnt mit den Erinnerungen einer Frau in England. Das umfasst zum Beispiel die Gedanken an ihren Vater, der verschwand als sie sieben Jahre alt war. Später wurde sie auch von ihrem Mann verlassen.
Als sie in einer Bar eine Mann trifft, wechselt der Plot in dessen Erzählung. Und es ist eine ziemlich obskure Geschichte, die er erzählt.
In dritten Teil des Buches übernimmt wieder die Frau und formuliert ihre Reaktion auf das Gehörte.
Was dieses Buch so stark macht, ist der leicht melancholische Erzählton, der ganz durch das fließende Erzählen der Erinnerungen entsteht. Oft sind es einzelne Wörter, von denen sich die Erinnerungen ableiten. Wie Barney Norris das formuliert ist ausgewogen und originell, aber auch unaufdringlich. Daher bleibt es ein ruhiges Buch und wenn man sich beim Lesen nicht konzentriert, entgeht einen viel.