Beeindruckendes Buch mit toller Konstruktion
von anushka, 8. Oktober 2017
Ghana, Ende des 18. Jahrhunderts: Effia und Esi sind Halbschwestern, die sich nie kennenlernen werden. Die eine lebt bei den Fante, die andere bei den Asante, verfeindete Völker, die immer wieder im Krieg liegen. Obwohl gemeinsames Blut in ihren Adern fließt, verlaufen ihre Lebenswege komplett unterschiedlich. Während Effia den mit Sklaven handelnden britischen Gouverneur des Fort Cape Coast heiratet, wird ihre Halbschwester versklavt und nach Amerika verschifft. Generation für Generation, bis in die Gegenwart, kämpfen die Linien der Familie ums Überleben und einen Platz in der Welt.
Das Debüt dieser Autorin ist wirklich ganz bemerkenswert. Braucht man am Anfang noch etwas Zeit um sich in den Aufbau des Buches einzufinden, weiß man diese ungewöhnliche Konstruktion schon bald zu schätzen. Generation für Generation wird das Leben eines Nachkommens von Effia und Esi eine Zeit lang begleitet. Dadurch taucht man in die jeweilige Lebensrealität ein. In Esis Familie ist diese Jahrhunderte lang von Versklavung, Rassenhass und Diskriminierung geprägt. Effias Nachkommen tragen ebenfalls schwer an ihrem Erbe der Stammesfehden und als Sklavenhändler. Dieses Buch ist möglicherweise frustrierend für Leser, die für Geschichten einen klaren Abschluss brauchen, denn das ist bei den einzelnen Schicksalen nur selten gegeben, auch wenn sie von nachfolgenden Generationen noch thematisiert werden. Aber man bleibt nie lange bei einer einzelnen Figur, sondern muss diese oft verlassen, wenn man gerade eine Verbindung zu ihr aufgebaut hat. Und trotzdem ist es möglich, mit diesen Figuren mitzufiebern und mitzuleiden.
Die Autorin zeichnet nach, dass die Diskriminierung der Afro-Amerikaner noch längst nicht vorbei ist und es auch nicht war, als die Sklaverei abgeschafft wurde. Sie zeigt beeindruckt und erschreckend, dass sich stattdessen neue Wege fanden, um die Ungleichheit aufrecht zu erhalten. Und auf der anderen Seite des Ozeans hat die Familie von Effia ebenfalls kein leichtes Leben. Besonders erschreckend ist dargestellt, wie sich verfeindete Völker eines Kontinents gegenseitig an eine Besatzungsmacht ausgeliefert und verkauft und somit ihr eigenes Schicksal besiegelt haben. Nicht zuletzt ist das Buch auch dadurch großartig, weil es von hoher politischer Aktualität ist und die noch heute wirkenden Nachwirkungen und deren Entstehung verständlich und berührend nachzeichnet.
Für mich ist dieses Buch ein Meisterwerk. Es ist toll konstruiert, sprachlich ansprechend und anspruchsvoll und wirkt sehr authentisch. Jedes Schicksal ist einzigartig, wirkt aber nie übertrieben oder unrealistisch. Das Buch hat mich in seinen Bann gezogen und mit den Figuren mitleben und mitleiden lassen. Es ist ein sehr kluges Buch, dessen Bedeutungsebenen man gar nicht auf einmal erfassen kann und das einen dadurch noch längere Zeit begleitet und beschäftigt. Auch wenn das Buch keine Wohlfühlgeschichte erzählt und kein rosarotes Happy End präsentiert, habe ich das Lesen sehr genossen und das Buch geliebt. Für mich ist es definitiv ein Highlight, das noch lange nachwirkt. Es hat mich tief beeindruckt und berührt.
Bedrückend und dennoch faszinierend
von vielleser18, 27. September 2017
Heimkehren von Yaa Gyasi erzählt die Geschichten von zwei Schwestern und ihren Nachkommen - eigentlich ist es ein Buch mit vielen Lebenwegen, vielen Protagonisten, die alle ihre eigene Geschichte haben.
Es fängt an mit Effia und Esi in Ghana im 18. Jahrhundert. Die beiden haben die selbe Mutter, doch sie haben sich nie kennen gelernt. Effia´s Familie provitiert vom Sklavenhandel, mischt munter bei dem Handel mit. Sie selbst heiratet einen britischen Offizier. Ungeahnt von ihr, wird im Verlies der Briten auch ihre Schwester Esi auf das Schiff warten, das diese nach Amerika in die Sklaverei bringen wird.
Es gibt zwei Erzählstränge, die beide bis in die heutige Zeit reichen. Abwechselnd wird jeweils die Geschichte eines Nachkommen Generation für Generation erzählt. Eigentlich besteht das Buch aus vielen kleinen Erzählungen, dennoch gehören sie zusammen, es sind verschiedene Lebenswege wie Perlen auf eine Schnur gereiht, das Band ist die Familienbande, die Zusammengehörigkeit.
Diese einzelnen Geschichten verhindern zwar einen durchgehenden Erzählfluss, jedoch ist es gerade diese Chronik, dieses Wissen, wie geht es Generation für Generation weiter, was lernt der Einzelne von seinen Vorfahren, was übernimmt er oder was lehnt er ab, das was fasziniert. Die Autorin hat gerade diese Entwicklung meines Erachtens sehr gut gestaltet und mit allen möglichen Facetten versehen.
Die Wege, die die einzelnen Protagonisten gehen, die Dinge, die sie erleben, erleiden oder auch durch eigene Handlungen anderen oder sich selbst antun, sind sehr unterschiedlich. Diese große Bandbreite ist faszinierend, manchmal bedrückend, aber immer wirkt es authentisch. Die Autorin schafft es, dass jeder dieser vielen Personen ein Leben eingehaucht wird, eine Geschichte, einen Lebensweg bekommt. Hilfreich ist für mich auch der ans Ende gestellte Familienstammbaum gewesen.
Das Cover hat mir gefallen, auch wenn man es wahrscheinlich erst am Ende des Buches deuten kann - ich will hier nicht spoilern. Mir jedenfalls scheint es sehr zu der Geschichte zu passen und die Farben und die Gestaltung sind auffällig und ein Hingucker.
Fazit:
Es gibt viele Attribute, die ich dieser Geschichte geben möchte: faszinierend, bedrückend, gelungen, vielfältig, emotional, intensiv, verschlungen, lehrreich, ungewöhnlich, anstrengend, aufwühlend, anspruchsvoll und völlig anders als erwartet ! Einfach sehr gut und zu empfehlen.
Heimkehren
von Florian Lechner , 5. September 2017
Es ist eine Geschichte voller Wunder, die Yaa Gyasi in ihrem Romanerstling vorlegt; die Geschichte zweier Schwestern, die nichts voneinander wissen, die eine wird Frau eines englischen Sklavenhändlers, die andere wird als Sklavin nach Amerika verkauft. Die Verästelungen der Familienchronik reichen bis in die Gegenwart, kreuzen sich immer wieder und ergeben ein berührendes Panorama schwarzer Identitätssuche.
Komplexer Generationsroman
von yellowdog, 24. August 2017
Heimkehren ist ein richtig komplexer Roman, da er seine Themen durch einen großen Zeitraum transportiert und dabei die handelnden Figuren relativ rasch wechseln. In der Regel tauchen die alten Personen in den neuen Kapitel auch nur selten auf, dennoch gibt es offensichtlich ganz starke Verbindungen.
Das sich der Ton der Geschichten im Verlaufe der Zeit verändert, merkt der Leser erst allmählich, zum Beispiel in Teil 2 mit H. als Protagonist 1880 spürt man eine andere Sprache als noch zu Anfang des Buches. Natürlich ist da auch zwischen den afrikanischen und den amerikanischen Abschnitten zu unterscheiden
Auch inhaltlich gibt es Veränderungen, das wird z.B. deutlich im Abschnitt als Willie und Robert nach Harlem gehen und die Beschreibungen des Jazzclubs Jazzing.
Auch die Geschichte von Yaw und der Entstehung seiner Brandnarbe oder von Sonny und seine Arbeit für das NAACP sind beeindruckend. Das gilt auch für die Geschichte von Marjorie und Marcus, mit der der Roman schließlich schließt..
Es gibt in fast allen dieser Episoden so viel zu entdecken und manche hätten das Potential für eigene Romane.
Diese Romankonzeption ist ein großer, umfassender Ansatz um die Geschichte der Sklaverei zu erzählen und die Autorin hat die entsprechenden Mittel.
Wenn eine junge Autorin so schreiben kann, darf man viel von ihr erwarten. Es sei denn, das war schon ihr wichtiges Thema, mit dem sie sich dann ausgeschrieben hat. Das muss man abwarten.
Imposante Stimme
von begine, 19. August 2017
Yaa Gyasi hat mit ihrem Debütroman ?Heimkehren? einen
einzigartigen, einmaligen, packenden, grandiosen Generationsroman geschrieben. Die Autorin lässt ihn in ihrem Geburtsland Ghana beginnen.
Der Roman befasst sich mit den Spuren der Sklaverei. Der Status Schwarze und Weiße ist ein Problem bis in die heutige Zeit.
Der Handel der Sklaven boomte, aber wie die Ware, wie sie genannt wurden, so unwürdig und grausam behandelt wurde, ist unvorstellbar.
Die Engländer kauften sich auus den Dörfern Frauen, die sie angeblich heiraten, obwohl die Männer zu Hause Frauen hatten. Was für eine Moral, aber Tatsache.
Dieser Roman fängt im 18. Jahrhundert mit Effia und Esi, Schwestern, die sich aber nicht kannten, an und endet am Ende des 20. Jahrhunderts.
Effia heiratet den englischen Sklavenhändler James, Esi wird als Sklavin verkauft.
Die Ahnentafel ist hilfreich beim Lesen, denn jedes Kapitel beschreibt eine neue Person, abwechselnd von Nachkommen von beiden Seiten und hat die Namen als Überschrift.
Das Schicksal und die vielen verschiedenen Charakteren sind erschütternd.
Besonders, weil so die Realität ist.
Yaa Gyasi hat diesen wichtigen Roman ehrlich und direkt geschrieben.
Besonders interessiert hat mich auch das Interview mit der Autorin, so lernt man sie und ihren Roman noch mehr zu schätzen.
Mich hat der Roman vom Anfang bis zum Ende gefangen genommen.
Er ist ein Stück Kulturgeschichte
Heimkehren ist für mich das Jahreshighlight.
Ein realistischer Roman
von buchina, 16. August 2017
Diese Familiengeschichte über eine Vielzahl von Generationen hat mich zu Tränen gerührt, wütend und fassungslos gemacht und auch ein wenig enttäuscht.
Der Roman beginnt mit der Geschichte der Halbschwestern Effia und Esi, geboren in Westafrika im 18 Jh., wissen sie nichts voneinander und haben völlig verschiedene Leben. Effia heiratet ein Europäer und lebt zwischen dem Dorfleben ihrer Eltern und dem europäischen Kolonialleben in Westafrika. Esi wird dagegen als Sklavin nach Amerika verkauft. Das Buch erzählt nun die Geschichte ihrer Nachfahren in Afrika und Amerika. Wobei die Autorin sich bei mehreren Nachkommen immer eine Person herauspickt. Anhand dieser Schicksale beschreibt sie die Entwicklungen der schwarzen Gesellschaft im späteren Ghana und der USA. Man erfährt viel über die Welt der Sklaven, ihre Freiheit, die sie nicht wirklich frei machte. Aber auch die Welt ihrer Herkunft Westafrika werden nicht vergessen, der Kampf und die Zusammenarbeit vor allem der Asante (Ethnie) mit den Koloniallisten. Besonders diesen Erzählstrang empfand ich als eine Besonderheit, denn bei dem Thema Sklaverei wird sich häufig nur auf die USA konzentriert. Die Autorin möchte aber ein großes Gesamtbild liefern, was ihr auch gut gelingt. Dadurch, dass ein langer Zeitraum und zwei große Handlungsorte Platz im Roman finden müssen, werden die Einzelschicksale gestrafft erzählt. Meist wird nur ein Teil des Lebens ausführlicher erzählt. Und das ist für mich auch der einzige Kritikpunkt des Romans. Denn gerade als ich mich in die Welt des jeweiligen Protagonisten eingelesen hatte, musste ich ihn schon wieder verlassen. Teilweise erfährt man vom Nachfahren noch etwas über das weitere Leben des vorhergehenden. Dennoch hatte ich oft das Gefühl, es fehlt etwas. Mich hätte es nicht gestört, wenn der Roman dadurch mindestens doppelt so lang geworden wäre. Die beschriebenen Schicksale sind so spannend, das hätte sicherlich funktioniert.
Trotzdem der Roman ist großartig geschrieben, ich war jedes Mal dort, ob im Asantedorf oder auf der Baumwollplantage. Ich habe mitgelitten und das ist manchmal richtig hart, denn Yaa Gyasi beschönigt nichts. Die Brutalität des Sklavenhandels ist so unfassbar, dass ich manchmal eine Pause beim Lesen brauchte.
Den Roman möchte ich sehr weiterempfehlen, denn er zeigt ein realistisches Bild der afrikanischen Bevölkerung nicht nur in den USA, sondern auch in Afrika. Gleichzeitig ist es eine spannende Familiengeschichte, die mich gefesselt hat. Nur insgesamt hätte ich mir ein längeres Verbleiben bei den einzelnen Schicksalen gewünscht.
Nachkommen
von cosmea, 13. August 2017
Yaa Gyasis Debütroman ?Heimkehren? erzählt die Geschichte der Halbschwestern Effia und Esi und ihrer Nachkommen über sieben Generationen, von der Mitte des 18. bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts. Die Schwestern begegnen einander nie und dennoch sind sie für kurze Zeit einander räumlich sehr nahe, als Effia den reichen britischen Geschäftsmann und Gouverneur James Collins heiratet und in der Festung Cape Coast Castle lebt und ihre Halbschwester dort im unterirdischen Verlies auf ihre Verschiffung nach Amerika wartet.
Die erst 26jährige aus Ghana stammende Autorin erzählt einmal mehr die Geschichte des Sklavenhandels und seiner Folgen für Sklavenhändler und Versklavte. Neu war für mich, in welchem Maße die Afrikaner selbst an diesem lukrativen Geschäft beteiligt waren. Kriegerische Stämme ? hier die Asante und die Fante ? hatten einander schon immer erbittert bekämpft. Nun wurden die Gefangenen, aber auch andere missliebige Personen an den Meistbietenden verkauft, in der Regel an die Engländer. Dabei gingen die Schwarzen nicht weniger unmenschlich und grausam mit ihren Landsleuten um als die weißen Händler und Soldaten.
Gyasis wählt eine komplizierte Erzählstruktur für ihren Roman. Kapitelweise wechselnd und immer zur jeweils folgenden Generation springend erzählt sie die Geschichte der Halbschwestern und ihrer Nachkommen, wobei sie immer einen direkten Nachfahren und seine Perspektive in den Mittelpunkt stellt. Das ergibt immer neue Schauplätze und eine Vielzahl von Personen. Ohne den Familienstammbaum am Ende des Buches würde der Leser schnell den Überblick verlieren. Der Verzicht auf eine zentrale Figur und Erzählkontinuität ist auf jeden Fall etwas gewöhnungsbedürftig. Dennoch ist der Autorin ein berührender Roman gelungen, der das unendliche, von der Sklaverei verursachte Leid für den Leser spürbar macht und ihm vor Augen führt, dass die Schwarzen noch heute unter den Folgen leiden. Mich hat der gut recherchierte und hoch interessante Roman überzeugt.