In der historischen Aufarbeitung des Ersten Weltkriegs stand in Österreich lange Zeit die militärische Sichtweise im Vordergrund. Diese einseitige Ausrichtung erzeugte aber ein Bild vom Krieg als eines Ereignisses, das kaum Auswirkungen auf das Alltagsleben der Menschen zu Hause hatte. Das hat sich aber glücklicherweise in jüngerer Zeit geändert. Das vorliegende Buch beschäftigt sich mit einem bisher wenig beachteten Aspekt dieser so genannten ' Heimatfront', nämlich dem Bau von Kriegsgefangenenlager in der österreichisch-ungarischen Monarchie und zwar auf oberösterreichischem Boden. Welche Auswirkungen hatte die Errichtung eines Lagers auf die umliegende Zivilbevölkerung? Wie veränderte sich das alltägliche Leben der Menschen? Aus fünf eindrücklichen Blickwinkeln: Lageraufbau, Kulturaustausch, Seuchen, Hunger und Zusammenbruch will der Autor versuchen, diese Fragen zu beantworten und zugleich ein spannendes Bild jener Zeit nachzeichnen!
Ernst Gusenbauer Direktor einer Neuen Mittelschule. Universitätslektor an der JKU-Linz, Leiter und Vortragender in der Lehrerfortbildung an der Pädagogischen Hochschule OÖ. Studium der Geschichte an der FernUniversität Hagen, 2013 Promotion zum Dr. phil. Historiker aus Leidenschaft.
Allgemeine Betrachtungen zu Krieg und Kriegsgefangenschaft
Die vom deutschen Kriegstheoretiker Carl von Clausewitz angesprochene Dreifaltigkeit des Krieges antizipiert, dass der Krieg ein Akt der Gewalt ist, dass der Krieg stets in einen Zweikampf zwischen zwei oder mehreren Gegnern mündet mit dem klaren Ziel, Gegner wehrlos zu machen, und dass der Krieg seiner Natur nach immer auch ein politisches Werkzeug darstellt.{6}
Doch noch in anderer Weise nähert sich Clausewitz dem Kriegsphänomen, indem er eine Unterscheidung zwischen wirklichem und absolutem Krieg vollzieht.
Der absolute Krieg wird um seiner selbst Willen geführt und legt es dabei auf die Zermürbung der Soldaten an. Hier dominieren unbedingter Gehorsam, unerschütterlicher Mut und Selbstaufopferung sowie unbedingtes Ehrgefühl.
Allein daneben existiert der wirkliche Krieg, mit Mäßigung zwischen Zweck und Mittel, der zugleich die Kehrseite der hehren Kriegstugenden offenbart, wie Geschäftemacherei, Furcht, Flucht, Feigheit und Desertion.{7}
Auch im Ersten Weltkrieg mochten sich absoluter und wirklicher Krieg miteinander wie ehedem verschränken. Völlig unbestritten im Forschungsdiskurs ist jedoch die Erkenntnis, dass es sich hier um eine ganz neue Dimension in der Welt(kriegs)geschichte handelte. Dieser Krieg galt bereits unter den unmittelbar Mitlebenden als etwas Neuartiges, Ungeheuerliches und Ausgreifendes. {8}
Der Erste Weltkrieg war nach Herfried Münkler nicht nur eine Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts, hier den US-Diplomaten G.F. Kennan zitierend, sondern konnte auch als Laboratorium gesehen werden, indem fast alles entwickelt wurde, was in den Konflikten der späteren Zeit eine gewichtige Rolle spielen sollte.{9}
Der Erste Weltkrieg wurde überdies mit einem nie dagewesenen Einsatz von personellen und materiellen Ressourcen ausgefochten. Der berühmte Soziologe Max Weber prägte dabei die Bezeichnung vom Maschinenkrieg.{10} Das führte einerseits bereits in kürzester Zeit zu einem enormen Blutzoll unter den Soldaten und zu einer massenhaften Zahl von Kriegsgefangenen, die die Logistik der kriegsführenden Staaten zu überfordern drohte. Der forcierte Einsatz neuartiger Technologien ermöglichte es einen Krieg auf Distanz zu führen. Ernst Piper vermeint darin ein Kennzeichen des modernen Kriegs zu finden, nämlich einen rapiden Entpersönlichkeitsprozess, der beispielsweise sowohl das Sterben im Feld, wie auch die Gefangenschaft im fremden Hinterland in ein sachlich-rationales Licht zu rücken vermag.{11}
Dass trotz des hohen Blutzolls die Soldaten aller kriegsführender Staaten in ihrer überwältigenden Mehrheit dennoch weiterkämpften, mag damit zu tun haben, dass sie gar keine andere Möglichkeit besaßen, außer der Option, die Waffen zu strecken. Sich zu ergeben und dadurch in Kriegsgefangenschaft zu geraten, war ein durchaus gefährliches Unterfangen.
Soldaten wurden auf beiden Seiten oftmals getötet, nicht nur, wenn sie zu kapitulieren versuchten, sondern auch, nachdem sie die Waffen niedergelegt hatten. Der britische Historiker Niall Ferguson spricht in diesem Zusammenhang von den versteckten Gräueltaten des Ersten Weltkriegs.{12}
Eine viel häufigere Variante war jedoch nicht die selbst gewählte Kapitulation, sondern jene, die durch Kriegshandlungen des Gegners unausweichlich wurde.
Für die Nehmerseite wurden Kriegsgefangene mit der zunehmenden Dauer des Krieges und der damit verbundenen Lebensmittelknappheit zu einer immer größeren Belastung, und dies galt besonders für die Mittelmächte, die schwer unter der alliierten Blockade litten.
Kriegsgefangene waren als Ersatz für die fehlenden Arbeitskräfte im Hinterland willkommen. Die Haager Landkriegsordnung hat dies ja bekanntlich durchaus unter