Warum wir uns nicht immer lieb haben müssen
Ist Frieden ohne Konflikte denkbar? Zusammenarbeit ohne Auseinandersetzungen? Das gesamte Leben ist ein Wechselspiel aus egoistischem und kooperativem Miteinander. Ohne Schwarz kein Weiß. Ohne Plus kein Minus. Es muss beides geben, um dem jeweils anderen eine Existenzberechtigung zu verleihen: Provokation und Verständnis.
Auch Mitarbeitergespräche sind ein Balanceakt zwischen kurzfristigem Kampf und langfristiger Kooperation, zwischen humorvoller Provokation und emphatischem Verständnis. Was häufig fehlt, ist eine offene, faire Streitkultur ohne Tricks, Manipulationen und polternde Hasskommentare. Wir sollten viel öfter mit unseren Kindern streiten, mit unseren Partnern, Lehrern, Dozenten und Mitarbeitern. Wir sollten wieder mehr Verantwortung übernehmen für das wir planen, tun und für unsere Fehler, statt uns hinter hierarchischen Masken zu verstecken.
Wer provokant führen möchte, benötigt jedoch
- eine stabile Werte-Basis aus Vertrauen,
- eine gesunde Menschenkenntnis,
- ein mutig-empathisches Konfliktmanagement und
- einen Rucksack voller Humor.
Auch das vielgepriesene flexible, agile Führen beruht im Kern auf einem mutigen und ehrlichen Beziehungsmanagement: Nur so können wir authentisch in Konflikte gehen, Probleme offen ansprechen und mit einem optimistischen Augenzwinkern gemeinsam meistern.
Michael Hübler ist Mediator, Berater, Moderator und Coach für Führungskräfte und Personalentwickler. Als Konfliktmanagement- und Verhandlungstrainer zeigt er, wie wertvoll der Schritt von einer 'Heilen-Welt-Philosophie' zu einer transparenten, agil-mutigen Führung ist.
Wie soll Führung in Zukunft aussehen?
Sind Sie bereit für einen Paradigmenwechsel? Schauen wir uns zwei Versionen der Zukunft an. Das Wunderbare an der Zukunft ist, dass Sie jederzeit die Wahl haben. Sie müssen lediglich das Notwendige tun, um Ihre Vision von Führung zu erfüllen.
Heute Nachmittag steht das Jahresgespräch mit einem veränderungsresistenten Mitarbeiter an. Als Sie vor einigen Jahren zur Führungskraft aufstiegen, waren Sie noch voller Tatendrang. Sie gingen davon aus, dass jeder Mitarbeiter etwas gestalten will. Und wenn nicht, will er doch wenigstens seine Aufgaben korrekt erledigen und nach Möglichkeit keinen Stress mit seinem Chef oder seinen Kollegen. Mittlerweile wissen Sie, dass dem nicht so ist.
Sie wissen genau, wie es ablaufen wird, das kommende "Aber-Gespräch": Der Mitarbeiter wird zögerlich zu Ihnen hereinkommen und sich leicht verunsichert setzen. Sie werden ihn fragen, wie das letzte Jahr so lief, er wird flüstern: "Passt schon." Sie werden ihn darauf ansprechen, dass sie letztes Jahr vereinbart hatten, dass er mehr Verantwortung übernimmt und eigenständig Entscheidungen trifft. Er wird erwidern, dass er sich alle größte Mühe gegeben hat, doch durch die Zusammenlegung der beiden Abteilungen gezwungen war, sich in viele neue Sachgebiete einzuarbeiten. Sie werden entgegnen, dass es sich hier doch nur um ein neues Sachgebiet handelt. Er wird darauf betonen, dass das zwar stimme, es sich aber dennoch um viele kleine Unter-Sachgebiete handelt, die so schnell nicht zu überblicken sind und er noch einige Zeit braucht, um sich hier durchzuarbeiten. Er wird mittlerweile immer nervöser und um ihm nicht zu sehr auf den Zahn zu fühlen - was ohnehin nichts bringen würde -, werden Sie ihm anbieten, dass Sie jederzeit für Fragen zur Verfügung stehen, wenn er Hilfe braucht (schließlich haben Sie in einem Führungsratgeber vor kurzem etwas über "Die Führungskraft als Coach" gelesen). Ihr Mitarbeiter wird daraufhin spürbar aufatmen. Zusätzlich werden Sie ihn dafür loben, dass er sich so großartig in sein neues Gebiet einarbeitet, immerhin kam es noch zu keinen größeren Fehlern, worauf er weiter entspannt. Pro forma, dass wissen Sie beide, werden Sie im Prinzip dieselben Ziele vereinbaren wie im letzten Jahr. Sie werden ihn fragen, ob er sich das vorstellen kann, die Ziele in Angriff zu nehmen, sobald die Zusammenlegung der beiden Abteilungen endlich abgeschlossen ist. Er wird nicken. Sie werden ihn fragen, wie er sich eine Umsetzung der Ziele vorstellt. Er wird keine Antwort wissen, denn es ist ja noch nicht so weit. Sie werden ihm ein paar Meilensteine vorschlagen, die Sie sich vorab überlegt haben. Er wird abermals nicken. Sie geben sich die Hand und das war es. Am Ende wird er erleichtert sein, dass er so weiter machen kann wie bisher. Und Sie haben, sofern nichts Schlimmeres passiert, ein Jahr lang Ruhe, bis es nächstes Jahr wieder heißt: Willkommen im Aber-Land! Sollte Ihr Chef fragen, warum der Mitarbeiter hinter seinem Potenzial zurückbleibt, können Sie darauf beharren: Sie hätten ja Ziele vereinbart, aber er ist einfach veränderungsresistent. Ihr Chef wird sich anschließend mit Ihnen solidarisieren, da er solche Fälle ja auch zur Genüge kennt. Der Mitarbeiter ist einfach träge. Da kann man machen, was man will.
Anschließend wird es um das neueste Kamikaze-Projekt gehen. Ständig wird ein neuer Projektesel durchs Dorf getrieben. Die Hälfte davon klappt, die andere wird am besten schnell wieder vergessen. Dabei könnte man aus den Gescheiterten mehr lernen als aus den Funktionierenden. Sie versuchen halbherzig mit Ihrem Chef über ein mögliches Scheitern des Projekts zu sprechen. Irgendwie kommt Ihnen der Grund dafür bekannt vor. Hätten Sie ein wenig mehr Zeit, könnten Sie darüber nachdenken, woran es lag. Sie würden bestimmt drauf kommen. Nur leider haben Sie keine Zeit für solche Kinkerlitzchen. Es muss ja weitergehen. Ihr Ch