Inhalt
Beschreibung
»Ich dachte, ich sei Österreicherin, ich trug doch ein
Dirndl. Ich musste weg. Ich war mir nicht bewusst, dass
ich Jüdin bin, bis die Nazis gekommen sind.«
»Baden ist für mich immer noch unser Heim. Ich
habe Baden sehr geliebt. Das Haus hatte einen großen
Garten, Obstbäume, einen Ententeich und vorne einen
Ziergarten mit Rosen; ein Paradies für uns Kinder. Nach
dem Zweiten Weltkrieg hat es mein Vater verkauft. Es
hat so wehgetan.«
»So erklärte ich meinem Mann David unmissverständlich,
dass ich nicht gewillt war, von meinem Heim
in Zypern wegzugehen, ganz gleich, was geschehen
würde. Selbst auf die Gefahr hin, dass er mich hier alleine
zurücklassen muss.«
Elsie Slonim lebt bis heute als einzige Zivilperson in der militärischen Sperrzone der türkischen Besatzungsmacht in Nordzypern.
Kurztext / Annotation
»Ich dachte, ich sei Österreicherin, ich trug doch ein
Dirndl. Ich musste weg. Ich war mir nicht bewusst, dass
ich Jüdin bin, bis die Nazis gekommen sind.«
»Baden ist für mich immer noch unser Heim. Ich
habe Baden sehr geliebt. Das Haus hatte einen großen
Garten, Obstbäume, einen Ententeich und vorne einen
Ziergarten mit Rosen; ein Paradies für uns Kinder. Nach
dem Zweiten Weltkrieg hat es mein Vater verkauft. Es
hat so wehgetan.«
»So erklärte ich meinem Mann David unmissverständlich,
dass ich nicht gewillt war, von meinem Heim
in Zypern wegzugehen, ganz gleich, was geschehen
würde. Selbst auf die Gefahr hin, dass er mich hier alleine
zurücklassen muss.«
Elsie Slonim lebt bis heute als einzige Zivilperson in der militärischen Sperrzone der türkischen Besatzungsmacht in Nordzypern.
Besprechung
Nein, diese Hundertjährige steigt nicht aus dem
Fenster und verschwindet wie bei Jonas Jonasson. Diese
Hundertjährige schreibt ihr erstes Buch und nimmt ihre
Leser nicht nur bei den Händen, sondern schreitet uns
voran auf ihrem Lebensweg. Und legt dabei ein so umwerfendes
frisches Debüt hin, dass man lesend jubelt.
So inhaltsschwer wie inhaltsschön und ganz ohne jede
Übertreibung oder Propaganda. So bündig und kurz
wie gnadenlos gerecht und hart es nur geht, werden
hier Fakten zum Jahrhundert europäischer Ausgrenzung,
Verfolgung, Auslöschung, Vertreibung, Krieg und
Völkermord aus eigenem Erleben beschrieben. Und das
so angriffslustig wie verhalten es sich im Ton für eine
ewig junggebliebene neue Autorin gehört, die im ruhigen
und dadurch erst so richtig anklagenden Erzählton
zu uns spricht, uns anrührt und wütend sein lässt.
Sich treu und der simplen Wahrheit verpflichtet, die
da heißt: So und nicht anderes erging es mir, schreibt
sie dabei so weise wie ergreifend poetisch, so lebenserfahren
kraftvoll, dass es ganz und gar einmalig in der
Literatur ist. Und ist dabei auch immer einmal wieder
das Quäntchen nachsichtig und milde gestimmt wie es
nur diese Hundertjährige sein darf.
Peter Wawerzinek, Träger des Ingeborg-Bachmann-Preises 2010
Klappentext
Dr. Beasley war ein äußerst pünktlicher
Mensch. Doch gerade bei meiner
Geburt verspätete er sich. Mein Vater
wurde unruhig. Als der Arzt dann doch
kam, entschuldigte er sich in aller Form.
Zum ersten Mal in seinem Leben sei er
vorhin zu einer jüdischen Familie gerufen
worden. Es sei eine schwere Geburt gewesen.
„Haben Sie denn schon einmal ein jüdisches
Kind gesehen, mein Freund?“
Vater zuckte mit den Schultern. „Nein,
woher denn, so etwas habe ich noch nie
gesehen. Aber wie sieht das denn aus?“
„Tja, wie soll ich sagen ... Also, da brauche
ich erst mal einen Tropfen ...“
Er leerte ein halbes Glas Whiskey, dann
fühlte er sich bereit für die ganze Wahrheit:
„Sie werden es nicht glauben, aber es
sieht genauso aus, wie alle anderen Neugeborenen.
Das ist wirklich so.“
Dann war es soweit. Ich kam zur Welt.
Und sah aus wie alle anderen Babys ...
Einführung oder Vorwort
Vorwort
Vom Brot im Meer
Alles ist wahr
„Alles ist wahr. Alles, was ich schreibe und dir erzähle ist wahr, alles!“
Das waren die Worte von Elsie Slonim, nachdem sie mir vor einem Jahr in Wien ein Manuskript in die Hand
drückte. Kaum ein halbes Jahr später saß ich auf einer verwachsenen Terrasse inmitten der militärischen Sperrzone
im Nordteil von Zypern und frühstückte fürstlich. Dreimal sollte ich mich noch auf den Weg machen, bis auch ich mich mit der Geschichte der Elsie Slonim verwachsen fühlte und dieses Buch in mir Wurzeln schlug. Wie einfühlend eine reiche Seele sein kann und mit welcher Liebe und Demut, dem Menschen und Dingen gegenüber, sie mir Geschichten aus ihrem Leben erzählte, zeigt ihre ganze Großherzigkeit und Güte. Und alles ist wahr, Ähnlichkeiten der handelnden Personen des Buches
mit der Wirklichkeit sind ausdrücklich erwünscht.
Eine Biografie ist es nicht, ein Roman auch nicht, eine Anleitung zum Altwerden? Nein, bestimmt nicht.
„Vom Brot im Meer“ sind Geschichten in der Geschichte eines und über Menschen, die von Reichtum
und Not, von Stolz und Ehrlosigkeit, von Großzügigkeit und Neid handeln. Aber am meisten handeln sie von Liebe
und Seelengröße. Wenn Elsie Slonim unter Menschen ist, hat sie Ferien. Es scheint, als ob sie immer noch im und vom Sonnenschein ihrer Kindheit lebt, jeder Blume ein „guten Morgen, Fräulein Blume“, und jedem Baum ein freundliches
„guten Abend, Herr Baum“ zuruft, sich verbeugt und sich bedankt, dass man ihr die Zeit gegönnt hat. Wenn
dann Fräulein Blume und Herr Baum ihren Gruß erst im hohen Alter erwidern, hat sich das Brot im Meer eben
viel Zeit gelassen, ist doch die Geduld die Zeitform der Erkenntnis. So manches Brot jedoch, das Elsie Slonim in ihrem
Leben gegeben wurde, enthielt auch Steine, Steine der Blindheit und Bitternis, an denen man fast ersticken konnte.
Das war die Vergangenheit. Die Vergangenheit, von der wir kopfhängend meinen, sie bewältigt zu haben.
Aber, da ist noch die Gegenwart. Die Gegenwart, die wir nicht bewältigen. Es schütteln zwar manche Menschen
heute den Kopf über sie, aber zu wenige, um sie zu ändern. Das in diesem Buch entfaltete Menschentum der
Elsie Slonim verursacht ebenfalls ein Kopfschütteln, aber eines mit einem Augenzwinkern. Elsie Slonim hat viel Talent zum Leben – wenn das Leben nur mehr Talent zu ihr hätte.
Alfred Woschitz
Herausgeber
Die Poesie der Sprache der Elsie Slonim spiegelt ihr
Leben wider. Es scheint, als war sie bereits als kleines
Mädchen Kosmopolitin. Sie wächst mit Deutsch, Ungarisch,
Englisch und Französisch auf. Im Alter von zwei
Jahren überquert sie zum ersten Mal den Atlantik, ungezählte
weitere Male sollten folgen. Die frühen Aufenthalte
in Rumänien prägen sie ebenso, wie ihr späteres Leben
in Israel, Frankreich, in den USA und auf Zypern. Sie
lernt Hebräisch und bewegt sich fortan stets zwischen all
diesen Sprachen. Die feine Höflichkeit und ihr unendlich
scheinender Humor machen Gespräche mit Elsie Slonim
zu einem Erlebnis. Wir waren beim Bearbeiten der Texte
bemüht, diese sprachlichen Besonderheiten zu erhalten
und nicht zu nivellieren.
Die Verlegerin