Das jahr 1969
von yellowdog, 1. September 2019
Der Sommer meiner Mutter ist eine melancholische Coming-of-age-Geschichte. Sie wird geprägt durch den ersten Satz:
„Im Sommer 1969, ein paar Wochen nach der ersten bemannten Mondlandung, nahm sich meine Mutter das Leben“
Durch die dadurch entstandene Stimmung wird der Roman zu etwas besonderen, der sich von anderen, oft auch banalen Geschichten um heranwachsende unterscheidet.
Tobias war damals 11. Erzählt wird die Geschichte vom jetzt erwachsenen Tobias, der sich an dieses Jahr und was vor dem Suizid passierte zurückerinnert. Das ist handwerklich sauber gemacht und funktioniert.
Die Zeit 1969 und die Stimmung dieser Zeit wird lebendig.
Für Tobias und seinen Eltern werden die neu hinzugezogenen Nachbarn wichtig. Die sind weniger konservativ als sie selbst und irgendwie freunden sie sich sehr an. Da ist auch die 13jährige Tochter Rosa.
Es ergibt sich eine Konstellation, die neues in Gang setzt, insbesondere auch für Tobis Mutter, die erste Emanzipationsversuche wagt.
Obwohl ich die Figuren mag, erfüllen sie doch die Stereotype.Ich hätte sie mir vielschichtiger gewünscht. Sie sind sehr konstruiert. Aber das wird so gebraucht, um den versuchten Ausbruch der Mutter aus den Konventionen zu erzählen. Der dann freilich mit schlimmen Konsequenzen scheitert.
Ich mochte auch Rosa und ihre Gespräche mit Tobi. Die hatten Tiefe und waren für den Jungen von Bedeutung. Dennoch war auch Rosa etwas überzeichnet, sie hatte fast nichts kindliches. Tobis Schwanken zwischen kindlichen und jugendlichen Empfindungen hingegen, erschienen mir sehr glaubhaft wie auch die Entwicklung der gesamten Geschichte.
Man kann sich von der Handlung beim Lesen kaum losreißen, da der Roman so eine Dichte und Geschlossenheit besitzt.
Der Sommer meiner Mutter
von Ana , 18. Juni 2019
Themen wie erste Liebe, Sex, Ehe, Selbstmord und Homosexualität kommen in der Gesellschaft so oft vor, aber wer von uns erinnert sich noch wann genau wir das erste mal mit ihnen konfrontiert worden sind? Tobias weiß es noch. Er wird's für immer wissen, es war der Sommer 1969.
Sanft und traurig. Politisch und persönlich. Woelk verpackt das Ausbrechen aus einem Käfig und zugleich den Versuch des Fliegens ohne Flügel auf eine Weise, die einen darüber nachdenken lässt, dass man nicht weiß, wie man Dinge verhindern kann, sodass nicht alles voller Wunden endet. Man kann nicht mehr zurück und erkennt auf einmal oder besser gesagt zum ersten mal wie wir die Welt wahrnehmen und dass wir sie nicht alle gleich wahrnehmen. Das ist vielleicht die wichtigste Erkenntnis für einen Menschen.
Auf der ersten Seite erzählt Tobias es ist der Sommer, in dem sich seine Mutter umbringt. Als die neue Nachbarsfamilie einzieht, kollidieren zwei Welten. Er erzählt darüber wie er mitbekommt, dass seine eher konservativen Eltern sich nach und nach durch die Freundschaft mit den kommunistischen Eltern von Rosa verändern. Wie er sich in Rosa - die für ihr Alter sehr überreif ist – verliebt. Er ist hin- und hergerissen zwischen weiter mit Raketen spielen oder sich mehr damit beschäftigen was in der Welt da draußen wirklich los ist.
Rosa sagt ihm, seine Mutter passt gut zu ihrem Vater und sie macht ihn auch darauf aufmerksam, dass sein Vater mit ihrer Mutter geflirtet hat. Er versteht was sie meint aber er versteht es auch nicht. Warum differenzieren sich die Wahrnehmungen von den zwei Kindern so sehr? Genau das macht dieses Buch für mich zu einer gelungenen Empfehlung.
Tobias verliert in diesem Sommer seine Unschuld auf Ebenen, die so prägend sind, dass man einfach nicht glauben kann, dass ein Kind nach so einem Sommer ohne eine Gesprächstherapie alles je verarbeiten kann.
Der Sommer meiner Mutter
von Barbara Kumpitsch , 5. Juni 2019
Dieser Roman hat mich erschüttert! Selten habe ich so einen Entwurf einer Lebensgeschichte gelesen. 1969 in Deutschland zur Zeit der Mondlandung. Für den elfjährigen Tobias ist es das wichtigste Ereignis seines Lebens, außer die neue Nachbarstochter Rosa. Von ihr lernt er, Gefühle zu zeigen, doch er ist noch zu jung für die damalige Aufbruchsstimmung der Erwachsenen. Was in der Nacht der Mondlandung passiert, verwandelt Woelz in ein Drama, das den Mond zur Nebensache werden lässt. Woelz ist Physiker und Philosoph und diese Mischung macht den Roman so stark. Bestes Buch des Jahres 2019, 50 Jahre nach Neil Armstrong!
Der Sommer meiner Mutter
von Unsere Magazin Redaktion , 11. April 2019
Ulrich Woelks ebenso faszinierender wie tragischer Roman dreht sich um das erotische Erwachen eines Elfjährigen im Sommer der Mondlandung 1969. Die Liebe und die Mädchen sind schwer erforschbares Gebiet für den noch kindlichen Tobi, der vom Nachbarmädchen Rosa in die Geheimnisse des Universums eingeführt wird. Auch für Tobis Mutter öffnet sich eine Welt in diesem langen Sommer, doch das muffige, konservative Nachkriegsdeutschland ist noch meilenweit entfernt von einem Summer of Love. Gelungen!