von Andreas Besold , 20. November 2018
Eine Welt, in der Wahrheit und Lüge gleich viel wert sind. Das Buch spielt in einer nahen Zukunft, die sich aber wie eine unabwendbare Gegenwart anfühlt. Die europäische Gemeinschaft ist zerfallen und wurde durch die Festung Europa ersetzt. Ihr gegenüber steht das diktatorisch geführte Reich, in dessen Protektoraten ein ganzes Heer von Internettrollen die öffentliche Meinung lenkt. Einer von ihnen ist der namenlose Held dieser in einer allzu naheliegenden Zukunft angesiedelten Geschichte. Gemeinsam mit seiner Verbündeten Johanna versucht er, das staatliche System der Fehlinformationen von innen heraus zu stören und wird dabei selbst Opfer eines Shitstorms.
Nach dieser Lektüre wird man Internetpostings mit anderen Augen lesen!
von DieLeserin, 19. September 2018
Der in Bratislava geborene Autor und Journalist Michal Hvorecky weiß, wovon er schreibt: Ist er doch schon selbst Opfer von Hasspostings geworden und hat die systematische Zerstörung seiner Kollegen mitbekommen.
In "Troll" zeigt er erschreckend glaubwürdig, wie so eine Trollfabrik funktioniert. Der namenlose Ich-Erzähler schleicht sich mit Johanna an seiner Seite in so ein System ein, wird selbst zum Troll, manipuliert die öffentliche Meinung, denunziert Menschen, die er eigentlich mag, verbreitet Hasspostings und Falschmeldungen.
Was als Trojanisches Pferd geplant war, nämlich das System von innen heraus zu lernen und zu zerstören, droht bald nach hinten los zu gehen. Wer sich zwischen Verrätern und Lügnern bewegt, droht nämlich selbst ein solcher zu werden. Ein Troll.
Dieses Trollsystem hat Hvorecky wirklich unglaublich realistisch und glaubwürdig geschildert. Leider aber driftet die Geschichte zwischendurch in andere - nicht so glaubwürdige, teilweise sogar widersprüchliche - Themen ab.
Beispiel: Anfangs ist der Ich-Erzähler an Masern erkrankt, landet im Krankenhaus in einem Land, das fast nichts für das Gesundheitsbudget übrig hat und immer mehr von Esoterikern und Alternativen Heilern übernommen wird. Trotzdem bleibt er 5 (!) Jahre im Krankenhaus, obwohl er - außer anfangs - nicht richtig krank zu sein scheint, sondern eher an hypochondrischen Psychosen leidet, die sich dann von alleine verflüchtigen; stiehlt Medikamente, die eigentlich nicht vorhanden sind, usw.
Oder: Nach dem Krankenhaus bezieht die Mutter eine Invalidenrente, lebt von der Hand in den Mund, macht Schulden. Aber der Ich-Erzähler schafft es, trotzdem Jahre zu studieren und sich weiterzubilden, mit seiner Mutter im privilegierten Viertel wohnen zu bleiben.
All das hat mir etwas die Freude gedämpft.
Auch Johanna ist so ein Thema an sich. Anfangs sehr lebendig eingeführt, gerät sie im Laufe der Geschichte beinahe in Vergessenheit, obwohl sie eine treibende Kraft der Handlung ist.
Dennoch möchte ich dieses Buch empfehlen, denn diese Trollfabrik macht nicht nur nachdenklich, sondern spiegelt erschreckend glaubwürdig Aspekte unserer aktuellen Internetnachrichten und SocialMedia-Postings. Und dieses Thema hat Michal Hvorecky wirklich meisterhaft geschildert.
Deswegen: Auf in die Trollfabrik!